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Prof. Dr. Rico Behrens über Demokratie in der ELJ

Die ELJ hat sich im Projekt „#MUTmacherwerden“ einem Grundthema unserer Zeit gestellt.

Wir erleben, dass in vielen Ländern mitmenschliches Handeln und demokratische Selbstverständlichkeiten unter Druck geraten sind. Ob in Russland, Polen oder Ungarn – der Wind wird rauer, autoritäre und nationalistische Ideen, Abschottung und Ausgrenzung greifen um sich. Und Deutschland ist hiervon nicht ausgenommen. Auf der einen Seite nimmt Vielfalt merklich zu, auf der anderen Seite werden längst überwunden geglaubte, abwertende Ressentiments neu belebt – Alltagsrassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Demokratie braucht deshalb Voraussetzungen, die immer wieder neu erarbeitet werden müssen.

Warum ist das so wichtig?

Demokratie bedeutet wörtlich übersetzt „die vom Volk ausgehende Herrschaft“. Damit ist aber längst nicht alles gesagt, was zu einer funktionierenden demokratischen Kultur notwendig ist.

Dort, wo Menschen zusammenleben kommt es unvermeidlich zu Konflikten.

Demokratie beschreibt eine Möglichkeit Konflikte friedlich und unter Wahrnehmung verschiedener Grundwerte zu regeln.

Auf der Ebene des ganzen Staates wird dies etwa durch freie Wahlen von Repräsentanten und bestimmten Regeln zu Verhandlungen und Abstimmungen (z. B. Mehrheitsregeln, aber auch Minderheitenschutz) durch den Rechtsstaat samt grundrechtlicher Freiheiten sichergestellt. Auch auf kleineren Ebenen, etwa in Initiativen und Vereinen, wie unsere ELJ-Gruppen werden solche Regeln z. B. bei Wahlen angewandt.

Prof. Dr. Rico Behrens über #MUTmacherwerden

Zur Person: Prof. Dr. Rico Behrens

  • Inhaber der Professur für Politikwissenschaft der Universität Eichstätt. Schwerpunkte: Politische Bildung u. Didaktik der Sozialkunde
  • Dissertation: Solange die sich anständig benehmen. Subjektive Theorien und Handlungsstrategien sächsischer Politiklehrerinnen und -lehrer zum Phänomen rechtsextremer Jugendkultur
  • Leiter des Projektes der Robert-Bosch-Stiftung „Starke Schüler – starke Lehrer – wie sächsische Berufschullehrer:innen kompetent mit antidemokratischen Überzeugungen im Unterricht umgehen können.“

Aber Demokratie ist keine bloße „Abstimmungsmaschine“ über verschiedene Alternativen. Demokratie beschreibt auch die Idee vom Zusammenleben und davon, wie sich Einzelne mit Ihren Ideen und ihrem Engagement einbringen können. Ohne eine lebendige Zivilgesellschaft bleibt Demokratie quasi blutleer. Die Motivation zur Selbstorganisation macht diesen Bereich aus. Ein dritter, nicht minder wichtiger Aspekt von Demokratie verbindet sich damit.

Demokratie beschreibt auch eine Lebensweise und Kultur des Miteinanders.

Diese Kultur ist frei von Angst, voll von gegenseitigem Respekt. Sie ist sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis einer lebendigen Demokratie. Der Politikdidaktiker Peter Henkenborg hat sie als Kultur der Anerkennung beschrieben.

Der Umgang zwischen uns sollte also geprägt sein von der gegenseitigen Achtung des Anderen. Wir haben alle die gleichen Teilhabe- und Beteiligungsrechte und dort, wo Ungleichheit die Ausübung dieser Rechte behindert, sollten wir nach Möglichkeiten suchen diese abzubauen.

Eine Kultur der Anerkennung bedeutet aber auch emotionale Zuwendung zueinander, also eine mitfühlende und respektvolle Kommunikation untereinander zu leben. Auch soziale Wertschätzung ist wichtig. Durch sie wird jede:r in seinem Lebensentwurf geschätzt und erlebt, dass man in seiner Individualität und seinen Beiträgen für andere wichtig sein kann und darf.

Mit dem Mutmacherprojekt hat sich die ELJ diese Prämissen zum Ziel genommen und eine Art kritische Bestandsaufnahme ihrer Landjugendgruppen vorgenommen. Gefördert werden sollte der Mut zu demokratischer Kultur. Es sollten aber auch bestehende Ansätze und gelebte Praxis sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig konnten mit dem Projekt auch weitere Entwicklungspotenziale ausgeleuchtet werden.

Dabei hat man sich nicht von oben herab mit dem Thema befasst, sondern in einem teilnehmer:innenorientierten Ansatz von Anfang an gemeinsam mit freiwilligen Engagierten und hauptamtlichen Mitarbeiter:innen zusammengearbeitet.

Das Projekt #MUTmacherwerden gliederte sich grob in drei Phasen:

In einer ersten Phase wurde eine Befragung von ELJ-Gruppen durchgeführt. Anschließend wurden die Daten ausgewerten und für eine Rückmeldung aufbereitet und als Drittes Ideen für weitere Unterstützungsangebote gesammelt und aufbereitet. Dabei sind durchaus anspruchsvolle Methoden der Befragung und Ergebnisrückmeldung gewählt worden. In den Gruppeninterviews wurden mit den ausgewählten Landjugendgruppen Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die den Zusammenhalt und die Attraktivität der Gruppen beschreiben.

Danach wurde über Aspekte der gegenseitigen Achtung und Teilhabemöglichkeiten gesprochen. An Konfliktbeispielen zeigten sich hier unterschiedliche Umgangs- und Lösungsstrategien der Gruppen besonders gut. Aber auch Anerkennungsthemen wurden beleuchtet. Wie wird Anerkennung verteilt, von wem, wofür und wann? Zu guter Letzt fand auch das Thema Alltagsrassismus Platz in der Befragung.

Überraschend und bemerkenswert war, wie offen die teilnehmenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen der ELJ-Gruppen gesprochen haben.

  • Deutlich wurde, dass die jungen MEnschen Ihre Jugendgruppen als wichtigen Teil der ländlichen Kultur wahrnehmen und sich mit den Aktivitäten identifizieren.
  • Daneben gab es in punkto Anerkennung und Lob recht unterschiedliche Erfahrungen. Sie betreffen zum einen die innere Struktur der Gruppe. In unterschiedlicher Intesität wurde hier ganz bewusst der Einsatz und das Engagement untereinander gewürdigt. Zum Teil wurde dies aber auch als selbstverständlich vorausgesetzt. In einigen Gruppen gab es den Wunsch nach stärkerer Anerkennung durch Verantwortungstärger außerhalb der Gruppe (z. B. Pfarrer:innen usw.)
  • Beim dritten Komplex, der Thematisierung von Alltagsrassismen, wiederholte sich dieses differenzierte Bild. Die Bandbreite reichte hier von sehr entschiedenen Erzählungen, bei denen Stereotype oder Beleidigungen bzw. diskriminierende Sprache nicht geduldet wurden, bis hin zu Einzelfällen, in denen es an der Tagesordnung war, diskriminierende Bezeichnungen als „normalen“ Umgagston unter Gleichgesinnten zu pflegen.

Insgesamt zeigte sich ein dynamisches und lebendiges Bild der befragten Landjugendgruppen.

Demokratische Kultur im Sinne einer „Kultur der Anerkennung“ können wir durchaus schon in vielen Bereichen der Jugendarbeit finden. Gleichzeitig bot die nachgelagerte Ergebnisrückmeldung Möglichkeiten das Gespräch zu vertiefen und Ansatzpunkte für das Thema weiterzudenken. Hierfür wurde eine eigene Gruppeneinheit von der Projektleitung erarbeitet.

Das hohe Interesse der interviewten Gruppen an den Rückmledungen zur Erhebung ist auch ein Zeichen für Zusammenhalt in der Evangelischen Landjugendarbeit. Zusammenhalt ist eine wichtige Ressource im Allgemeinen, aber auch für das Miteinander von Menschen in der Kirche, Vereinen oder anderen Initiativen.

Wie bei vielem gibt es aber auch hier eine Kehrseite. Immer da, wo abgeschlossene, abgeschottete Gruppen entstehen, wo das eigene Handeln nicht mehr hinterfragt wird, wo der Zugang für andere Menschen eng gemacht oder gar offen ausgeschlossen wird, ist Zusammenhalt nur um den Preis der Ausgrenzung zu haben. Ausgegrenzt werden sollten im Sinne demokratischer Kultur aber lediglich menschenfeindliche Haltungen, Diskriminierung und jede Form des Rassismus.

Für eine solche demokratische Kultur in der Landjugend werden in diesem Magazin einige Anregungen gegeben, die sich aus den Auswertungen der Gruppengespräche ergaben. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass Demokratie eine „Kultur der Anerkennung“ braucht.

Die Landjugend kann hier ein Ort sein, der Demokratie in seinen Facetten erlebbar macht, sei es in der Form von Teilhabe und Mitbestimmung, sei es in Form eines wertschätzenden, anerkennenden Umgangs oder auch in Form eines solidarischen Miteinanders, in dem aufmerksam und entschieden gegen Ausgrenzung Stellung bezogen wird.

Am Ende sind es die jungen Menschen vor Ort selbst, die einen Unterschied machen können.

Mit dem Projekt Mutmacher gibt es hierfür einen Anstoß und konkrete Ideen, um auf diesem Weg weiter voranzukommen.

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